Die Spannung steigt

Es ist nun genau 12 Monate her, dass sich im alteingesessenen familiengeführten Ristorante da Franco der Führungswechsel und damit auch der Generationenwechsel vollzogen hat. 12 Monate, in denen so viel passiert ist, dass es mir schwer fällt, alle Einzelheiten Revue passieren zu lassen. Doch um auch sich selbst mal auf die Schulter zu klopfen, ist es manchmal gar nicht verkehrt, innezuhalten, den Blick auf die Vergangenheit und damit auf das, was man geschafft hat, zu richten. Innerhalb eines Jahres haben wir das einst klassische italienische Restaurant am Marktplatz in Holzminden in vielerlei Hinsicht verändert. Manche würden vielleicht sogar sagen, wir haben es auf den Kopf gestellt.
Noch bevor Anfang April 2019 die Übernahme erfolgt, gibt es bereits einiges zu regeln und wir sind mit dem Kopf schon voll bei der Sache. Erster Termin beim Steuerberater in Hannover (inzwischen glücklicherweise gewechselt!), Gewerbeamt, Eröffnung eines Geschäftskontos u.v.m.
Fabio ist bereits mit der Planung der Küchenerneuerung beschäftigt. Wie die McDonald’s-Gründer im Film „The Founder“ klebt er in unserer Wohnung einen Bereich auf dem Boden unserer halbfertigen Küche mit Klebeband aus, um so das Modell für die spätere Restaurantküche zu optimieren. Wir sind hochmotiviert und auch in meinem Kopf überschlagen sich die Ideen, insbesondere was mögliche Marketingstrategien angeht.
Es hat sich nichts verändert und doch hat sich innerhalb eines Moments alles verändert.

Am 31. März ist es dann soweit. Zum letzten Mal schließen Rosi und Franco die Ladentür als die eigene hinter sich. Ein komisches Gefühl muss das für die beiden sein. Haben sie schließlich die letzten 20 Jahre einen Großteil ihrer Lebenszeit in diesem Laden verbracht und all ihre Energie hineingesteckt. Doch die Zeit des Ristorante da Franco ist ja nicht vorbei und ich bin mir sicher, dass auch die Erleichterung darüber, dass das Unternehmen in der Familie bleibt, Teil des Gefühlscocktails ist, der gerade in den beiden brodelt.
Doch nicht nur für die zwei ist es eine merkwürdige Situation. Auch Fabio und ich müssen uns nun erstmal in die neue Rolle als Restaurantbetreiber hineinfühlen. Bis eben haben wir hier nur gearbeitet. Jetzt ist es plötzlich unser Restaurant. Es hat sich nichts verändert und doch hat sich innerhalb eines Moments alles verändert. Ich gehe durch den langen Gang und kann es noch nicht so richtig fassen. Ein neues Kapitel hat begonnen.

Am nächsten Tag steht ein Olivenbäumchen im Hinterhof. Den haben uns Fabios Eltern zur Übernahme geschenkt. Eine schöne Geste. Der jetzt noch kleine Baum wird wachsen und vielleicht wird er sogar eines Tages Früchte tragen – genau wie unsere zahlreichen Pläne, die derzeit noch unausgereift in unseren Köpfen herumgeistern.
Bis es mit dem Küchenumbau losgehen kann, vergeht noch etwas Zeit. Für die Anschaffung der Neugeräte beantragen wir bei der Bank einen Kredit. Als Neugründer hätten wir dafür normalerweise keine guten Chancen – erst recht nicht in der Gastronomie, denn dieser Branche stehen Banken wenn es um Kredite geht recht kritisch gegenüber – doch mit den Umsatzzahlen der Vorjahre und einem guten Plan können wir uns zum Glück gut verkaufen und erhalten die benötigte Summe.
Küchenumbau mit knappen Bemessungen

Im Mai geht es dann los mit den Küchenumbau und der ist – das kann ich euch sagen – ein nervlicher Drahtseilakt! Schon vorher hatte Fabio sich mit Andreas, der seine Hilfe angeboten hatte und sich als unglaubliche Produktivitätsmaschine entpuppte, schon einige Nächte um die Ohren geschlagen und die Küchenfliesen neu verfugt. Insgeheim bin ich in diesen Momenten froh, als Frau den Ruf zu haben, eher nicht für solche Arbeiten gemacht zu sein (auch wenn die feministischen Kämpfer/innen unter euch jetzt möglicherweise die Nase rümpfen). Denn ganz ehrlich: Nachts solch körperlich anspruchsvolle Arbeit verrichten und tagsüber im Laden stehen – das würde ich vermutlich nicht ohne erschöpfungsbedingte Heulkrämpfe und Wutausbrüche schaffen!
Nachdem der Boden neu verfugt wurde und die Wandfliesen gestrichen, geht es ans Eingemachte: die neuen Geräte, die schon seit einigen Wochen in der Garage lagern, sollen endlich an ihren Bestimmungsort. Hierfür haben wir einige unserer Küchenjungs und natürlich Andreas angeheuert. Doch transportier mal einen mehrere 100 Kilo schweren Pizzaofen von A nach B und dann auch noch durch einen Türrahmen, der gerade mal einen Millimeter Luft lässt, um das Gerät hindurchzuschieben…!
Ein voller Sommer
Der Sommer kommt. Nachdem wir Anfang April mit dem Kükenfest schon auf die Probe gestellt wurden und dieses erfolgreich hinter uns brachten, folgen im Sommer noch weitere Großevents, die unser Können abverlangen. An der Spitze: das alle zwei Jahre stattfindende Straßentheater in Holzminden. Im Juli und August findet dann noch der Holzmindener Marktsommer statt und unsere Terrasse ist jeden Samstag, wenn auf dem Marktplatz Livemusik gespielt wird, belegt bis auf den letzten Platz.
Erneuerung der Gästetoiletten mit blauäugigem Zeitplan

Im September müssen dann noch die Gästetoiletten dran glauben. Die waren inzwischen schon etwas in die Jahre gekommen und haben eine Modernisierung dringend nötig. Und auch hier heißt es wieder: selbst ist der Fabio! Die Ideen für die Gestaltung der Toiletten entspringen seiner Kreativität und seinem räumlichen Vorstellungsvermögen. Wieder steht Arbeitstier Andreas an Fabios Seite, um ihm beim Rauskloppen der Toiletten behilflich zu sein. Der Zeitplan ist mehr als straff: in drei Tagen will Fabio mit den Damentoiletten durch sein (alle, die auch nur ein bisschen Heimwerker-Erfahrung haben, werden an dieser Stelle möglicherweise laut zu lachen anfangen…). Andreas äußert noch seine Zweifel hinsichtlich Fabios Zeitplan und murmelt „Das schaffen wir nicht…“, doch da ist es schon zu spät: mit einem Schlag hat Fabio eine irreversible Delle in die Damentoilette gehauen und entgegnet Andreas: „Jetzt müssen wir es schaffen“. Gewisse Situationen im Leben erfordern eben einen gewissen selbst erzeugten Druck…
Zugegeben: in der Retrospektive betrachtet waren unsere damaligen Vorstellungen von der Zeit, die es brauchen würde, mehr als blauäugig, aber es half, um überhaupt den ersten Schritt zu tun.
Naja, schlussendlich dauert es dann drei Wochen statt drei Tage, bis sowohl die Damen- als auch die Herrentoiletten fertig sind. Auch hier haben wir wieder Unterstützung von einem befreundeten Fachmann, der sich um die Installation der Sanitäranlagen kümmert und mit seiner Erfahrung im Fliesen an die Wand spachteln beeindruckt.
Wir erweitern das Kulturprogramm
Der Herbst kehrt allmählich ein und ich bin überrascht, wie schnell der Sommer an uns vorbeigezogen ist. Uns steht eine spannende, um nicht zu sagen ungewisse Zeit bevor, denn wie wir schon von Fabios Eltern wissen, ist der Sommer die Zeit, in der das Geld verdient wird und der Winter eher dürftig. Doch aufgrund all unserer Umbaumaßnahmen und Neuanschaffungen haben wir für die Winterzeit kein dickes Finanzpolster anlegen können, weshalb wir darauf angewiesen sind, dass auch der Winter gut läuft. Tja, wie schon gesagt: gewisse Situationen im Leben erfordern einen gewissen Druck. Und den haben wir jetzt!

Mir kommen zahlreiche Ideen für diverse Veranstaltungsformate, die nicht nur für den benötigten Umsatz sorgen würden, sondern auch zur Vielfalt des Kulturangebots in Holzminden beitragen sollen. So kommt es, dass wir im Laufe der kommenden Monate Gastgeber von Philosophieabenden, After Office Network Events, einem Sprachaustauschevent, einer gemeinsamen Plätzchen-Back-Aktion, dem DJ-City-Festival und zum Jahresende von einer Hinterhof-Session mit Lagerfeuer und Glühwein werden. Zwischendurch natürlich noch jede Menge Weihnachtsfeiern und das reguläre Weihnachtsgeschäft. So gelingt es uns, trotz der naturgemäß eher umsatzschwächeren Jahreszeit einigermaßen über die Runden zu kommen und gut ins neue Jahr 2020 zu starten.
Im Januar geht es dann direkt weiter mit neuen Veranstaltungsformaten. Am 10. Januar findet in unserem Restaurant zum ersten Mal das „Vier Gänge zum Verlieben“ Event statt. Ein Format für Paare, bei dem neben vier köstlichen Gängen auch 36 Fragen serviert werden, die sich das Paar stellen kann und die für eine tiefe Ebene der Kommunikation sorgen sollen. Zu Beginn des Abends bin ich etwas nervös, da ich nicht weiß, wie gut das Format und unser Überraschungsmenü ankommen und wie die Stimmung sein wird. Doch schon nach dem ersten Gang wird klar: alles richtig gemacht. Die Paare – jedes an einem eigenen, stimmungsvoll gedeckten Tisch – sind gut gelaunt und die meisten in die Fragen vertieft. Genau so habe ich es mir vorgestellt. Die Küchencrew zaubert ein 1A Vier-Gänge-Menü, das jeden einzelnen Gast begeistert und die Paare unterhalten sich zur Abwechslung mal nicht über Oberflächlichkeiten, sondern über die tiefgründigen Fragen des Lebens. Ich bin voller Euphorie und freue mich, unsere Gäste so glücklich und zufrieden zu sehen.
Viele Leute erwarten bei einem Vier-Gänge-Menü möglicherweise die typische „Weiße-Blusen-schwarze-Schürzen-Servicekraft“, die jeden Handgriff wie aus dem Lehrbuch ausübt. Doch unser Konzept ist eben ein anderes. Wir wollen eine lockere Atmosphäre schaffen und unseren Gästen möglichst nah sein.
Am 30. Januar findet dann zum ersten Mal das schon seit Mitte Dezember geplante Märchendinner mit Marie Bär statt. Auch dies ist ein voller Erfolg! Ausverkauf bist auf den letzten Platz, eine hervorragendes Vier-Gänge-Menü, das alle anwesenden Gourmets mehr alls zufriedenstellt und eine spannende Geschichte, die alle für ein paar Stunden in eine andere Welt entführt. Auch hier war ich zu Veranstaltungsbeginn ziemlich nervös, da der Wintergarten für die 30 anwesenden Gäste reichlich eng war und mir schnell klar wurde, dass es mir nicht möglich sein wird, die Teller der einzelnen Gänge zu jedem persönlich Gast zu bringen. Also bat ich die Gäste in einer kurzen Ansprache zu Beginn darum, mir im Laufe des Abends unterstützend zur Seite zu stehen, indem sie den ein oder anderen Teller vielleicht die lange Tafel hochreichen würden. Eine gewagte Forderung bei einer Veranstaltung dieser Art. Viele Leute erwarten bei einem Vier-Gänge-Menü möglicherweise die typische „Weiße-Blusen-schwarze-Schürzen-Servicekraft“, die jeden Handgriff wie aus dem Lehrbuch ausübt. Doch unser Konzept ist eben ein anderes. Wir wollen eine lockere Atmosphäre schaffen und unseren Gästen möglichst nah sein. Deshalb erlauben wir uns auch, das „Sie“ von Anfang an zu überspringen und ungefragt zu duzen. Wer damit ein Problem hat, kann uns gerne einen Hinweis geben, doch bisher war das noch nie der Fall.
Die lang ersehnten Burger kommen in die Speisekarte

Eine weitere Neuerung brachte der Januar mit sich. Wie schon oft und seit langem von einigen Gästen gefordert, brachten wir endlich unsere hausgemachten Burger auf die Karte. Und die sind eingeschlagen wie eine Bombe! Wir hatten zwar schon damit gerechnet, dass die Burger gut laufen würden, aber dass sie nach Pizza zum meistverkauften Produkt werden würden, hätten wir nicht erwartet. Für die Küche bedeutete das erstmal eine ganze Menge Stress. Weil wir sogar unsere Burgerbrötchen selbst backen, mussten erstmal einige Arbeitsprozesse umstrukturiert und optimiert werden, um nicht ohne Ende Überstunden anzuhäufen. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Eine nie da gewesene Herausforderung
Tja, inzwischen ist das erste Quartal 2020 schon vorbei und wir stehen vor einer nie da gewesenen Herausforderung. Die Corona-Krise trifft auch uns hart und nur dank einer guten Portion Selbstvertrauen und dem Rückhalt von Familie, Freunden und tollen Gästen behalten wir unseren Ehrgeiz. Wir geben nicht auf. Seit gut zwei Wochen stehen wir euch als Lieferservice zur Verfügung und sind begeistert, wie tatkräftig ihr uns unterstützt und bei uns bestellt!
Während viele Leute inzwischen die Langeweile plagt, weil sie weniger oder gar nicht mehr arbeiten gehen können, können wir uns über zu wenig Arbeit nicht beklagen. Der Lieferservice bringt andere, neue Anforderungen mit sich und auch all die administrativen Aufgaben, die die Krise mit sich bringt, wollen erledigt werden. Doch wir beißen uns durch. Da wir mit dem reinen Liefergeschäft nicht kostendeckend arbeiten können, habe ich kurzerhand noch einen Onlineshop installiert, über den wir nun einige unserer Speisen als selbst hergestellte Tiefkühlprodukte und Gutscheine für die Zeit nach Corona zum Kauf anbieten. Und auch darüber hinaus schlummern noch ein paar Ideen in uns, mit denen wir es schaffen können, uns auch während der Krise über Wasser zu halten.
Ein dickes fettes DANKE!

Zum Trübsalblasen haben wir keine Zeit und auch gar keine Lust – bringt ja sowieso nichts! Darum sei an dieser Stelle noch einmal gesagt: wir sind unbeschreiblich dankbar für all die tollen Mensch in unserem Umfeld! Ob unser Team, Familie, Freunde oder natürlich unsere Gäste. Ihr alle sorgt dafür, dass unser Feuer weiter brennt und wir auch in schweren Zeiten wie diesen den Kopf nicht in den Sand stecken. Ihr steht hinter uns und dafür danken wir euch. Wir freuen uns auf die nächsten 12 Monate mit euch und auf eine dicke fette After-Corona-Party, wenn dieser ganze Spuk vorbei ist.
Zuletzt sei natürlich auch noch ein Danke an Rosi und Franco gerichtet, ohne die es uns jetzt nicht geben würde. Auch, wenn wir zu Beginn die bei einem Generationenwechsel zu erwartenden Schwierigkeiten hatten – wer glaubt, dass so eine Übergabe innerhalb der Familie in totaler Harmonie abläuft, der irrt sich – sind wir umso dankbarer, dass wir euch immer als Unterstützung in der Rückhand haben und auch von euren Erfahrungen lernen dürfen.